Erinnerung an die kommunale Neugliederung
Nach Artikel 3 der Landesverfassung NRW aus dem Jahre 1950 liegt die Verwaltung in den Händen der Landesregierung, der Gemeinden und der Gemeindeverbände. Alle sind verpflichtet nach demokratischen Grundsätzen zu handeln. Politisches Handeln geschieht aber immer in eine politische Zukunft hinein, die nie exakt vorausberechnet werden kann. So war es auch bei der Verabschiedung der Landesverfassung per Volksentscheid.
In den sechziger Jahren stellte sich jedoch heraus, daß die damalige Einteilung der Gemeinden und Gemeindeverbände infolge der rasanten wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Entwicklung nicht mehr optimal war. Sie bedurfte dringend einer Neuordnung, um die Grundbedürfnisse der Bürger
- Wohnen
- Arbeiten
- Versorgung
- Bildung
- Teilnahme am Verkehr
- Freizeit
besser zu befriedigen und damit aussichtsreichere und zukunftsweisende Lebensbedingungen zu schaffen. Dazu brauchte man ein neues Instrument in Form eines geordneten Netzwerkes aus Ober-, Mittel- und Nebenzentren, die möglichst gleichmäßig über das Land verteilt werden sollten. Annähernd gleichwertige Daseinsgrundlagen waren das Ziel. Um die Beweglichkeit zwischen diesen Zentren zu erhöhen, sollten sie durch zügig und damit zeitsparende Verkehrsachsen verbunden werden. Dadurch versprach man sich eine erhöhte Wirksamkeit der Zusammenarbeit.
So gerieten auch die Gemeinden Freienohl und das gleichnamige Amt mit den Gemeinden Oeventrop, Rumbeck, Breitenbruch, Herblinghausen, Frenkhausen, Hellefeld, Altenhellefeld, Grevenstein, Visbeck, Meinkenbracht, Linnepe und Westenfeld in den Strudel der Neugliederungspläne. Vertrackt war die Lage in diesem Raum jedoch dadurch, daß er genau zwischen den Kreisstädten Meschede und Arnsberg lag und die Kreisgrenze sogar durch ein Freienohler Haus (ehemalige Gaststätte Köster gegenüber dem Bahnhof) verlief. Sowohl Arnsberg als auch Meschede waren durch ihre gesamte Infrastruktur prädestiniert, zu Mittelzentren aufgewertet zu werden. Dazu hätten beide gerne ihre Größe auf Kosten des Amtes Freienohl ausgeweitet, zumal dieses auch wirtschaftlich und bevölkerungsmäßig (etwa 16.000 Einwohner) für sie interessant war.
Diesen Einbürgerungsgelüsten aber wollten sich die Einwohner des Amtes Freienohl nicht ohne weiteres beugen. Es bestand nämlich die Möglichkeit, aufgrund der bereits vorhandenen günstigen Grundbedürfnisse ein eigenes, voll lebensfähiges Nebenzentrum zu bilden. Von der Einwohnerzahl hätte es allemal gereicht, hatte doch die Kreisstadt Meschede damals etwa die gleiche Einwohnerzahl. Auch die günstige Verkehrslage an der Ruhrschiene sowohl in Ost-West-Richtung (Bundesstraße 7, Ruhrtalbahn von Hagen bis Warburg) sowie die B 55 in Nord-Süd-Richtung (Lippstadt - Olpe) hätte durchaus mit Arnsberg und Meschede konkurrieren können. Dazu kam die günstige Gewerbe- und Industrieausstattung, besonders in Oeventrop, Freienohl und Grevenstein mit einigen tausend Arbeitsplätzen. Auch der Fremdenverkehr hätte ausgebaut werden können.
Diesen fetten Happen wollten sich die Städte Arnsberg und Meschede nun selbst gern einverleiben. Was wäre da an Bürgernähe für uns übrig geblieben, wenn wir am äußersten Zipfel einer 25 Kilometer langen Stadt entlang der B 7 bis Voßwinkel gelegen und allein die Strecke zum Rathaus nach Neheim 20 km betragen hätte!? Meschede bemühte sich dagegen um die Gemeinden Freienohl und Grevenstein vor allem aus fiskalischer Hinsicht.
So kämpfte das Amt Freienohl um seine Selbständigkeit in Form eines Nebenzentrums. Es wurden Gespräche innerhalb der Gemeinden und den Parteien geführt. Ja, die Meinungen gingen selbst quer durch diese Institutionen! Die Neugliederungskommissionen wurden bemüht, sich die Lage vor Ort anzuschauen; es wurden Statistiken gefertigt und von den einzelnen Interessengruppen Reisen nach Düsseldorf in das Innenministerium unternommen.
Der Kampf um die A-Gemeinde
Oeventrop und Grevenstein
Einwohnerversammlungen wurden in Oeventrop, Freienohl und Grevenstein durchgeführt und die Einwohner rangen untereinander um das Pro und Kontra. Das ging über Jahre hinweg und schließlich - bei der eventuellen Gründung eines selbständigen Nebenzentrums (A-Gemeinde) - nur noch um die Frage der Schulen und des Verwaltungssitzes: Oeventrop als größere Gemeinde mit etwa 6000 Einwohnern oder der alte Amtssitz Freienohl mit ca. 4.500 Einwohnern. Ein gemeinsamer Name war so gut wie sicher: die neue Gemeinde sollte „Ruhrtal“ heißen. Grevenstein stand fest zu dieser Lösung.
Wie bereits erwähnt, war das Hauptproblem die Lage der Schulen und des Rathauses als Verwaltungssitz. Und daran scheiterte letztendlich auch die selbständige A-Gemeinde. Sowohl Freienohl als auch Oeventrop hatten je eine Haupt- bzw. eine Grundschule. Man hätte also alles beim Alten lassen können, sogar neue Möglichkeiten hätte es gegeben. Beim Zusammenlegen der Hauptschulen hätte man eventuell einen eigenen Realschulzweig einrichten können, der den Schülerinnen und Schülern den Weg nach Arnsberg oder Meschede erspart hätte.
Der eingangs erwähnte Satz “Politisches Handeln geschieht aber immer in eine politische Zukunft hinein, die nie exakt vorausberechnet werden kann“, feiert hier fröhliche Urständ. Die politische Selbständigkeit nach dem Prinzip der „Kirchtumspolitik“ - die vor allem von den „Pohlbürgern“ vertreten wurde - daß Schule und Verwaltung im Ort bleiben müssen, verhärtete in Freienohl und Oeventrop so die Fronten, daß die Aussichten auf ein selbständiges Nebenzentrum schwanden. Als dann die Stadt Arnsberg in Oeventrop immer stärker intervenierte und sich abzeichnete, daß zwischen den beiden eine Einigung zustande kommen würde, errichteten Freienohler Einwohner auf der B 7 zwischen beiden Orten, in Höhe der zukünftigen Autobahnauffahrt, ein großes Plakat mit der Aufschrift: „Hier soll die Arnsberger Raubrittergrenze entstehen“. Auf dem Wildshauser Weg wurde eine Schranke installiert, an der die Freienohler einen symbolischen Wegezoll von den Oeventropern erhoben.
Als die Gemeinde „Ruhrtal“ vom Innenministerium für „gestorben“ erklärt wurde, entschieden sich Freienohl, Grevenstein, Visbeck und Frenkhausen für einen Anschluß an die zukünftige Kreisstadt Meschede. Das hatte für Freienohl wenigstens noch ein Gutes: der frühere Amtsdirektor Josef Pütz wurde später Stadtdirektor der Stadt Meschede.
Heiteres aus der Bürgerversammlung in Oeventrop zur Neugliederung
Heinz Eickelmann erinnert sich
An einem Sonntag im Februar 1974 lag über dem Saal der Oeventroper Schützenhalle Spannung. Die „Aktion Bürgerwille“ hatte zur Bürgerversammlung geladen. Thema war die kommunale Neugliederung; der Zusammenschluß der Orte Oeventrop, Freienohl, Gevenstein zur A-Gemeinde. Im Saal befanden sich schätzungsweise 550 Oeventroper und 250 Freienohler. Bevor die Gemeindevertreter von Freienohl und Oeventrop ihre Gründe „für oder gegen“ die A-Gemeinde vorbrachten, durften die Bürger beider Orte ihre Meinung kund tun.
Ein Oeventroper Bürger meldete sich und verwies auf die äußerst harten Fußballbegegnungen mit Zuschauerausschreitungen. Daran könne man sehen, daß Oeventrop und Freienohl nicht zusammen passen. Nach dieser Aussage sprang der Freienohler Viehhändler Gregor Figge auf die Bühne und entgegnete dem ihm Bekannten: „Wenn Dein Vater Dich hören würde, was Du einen Blödsinn erzählst, er würde Dich hier auf der Bühne dreschen.“
Es ging weiter mit einer tollen Aussage eines Freienohler Bürgers. „In seiner Jugendzeit wären sie nach Kinobesuchen in Oeventrop verhauen worden. Auch während seiner Ministrantenzeit, in der sie mit einem Handwagen Wäsche aus der Kirche zum Schwesternhaus nach Oeventrop bringen mußten, hätten Oeventroper ihnen hinter Schmidts-Eichen aufgelauert und ihnen den Handwagen umgeworfen. Mit solchen Leuten könne man ja wohl keinen gemeinsamen neuen Ort aufbauen.“
Der damalige Oventroper Bürgermeister Schulte wies darauf hin, daß schon im 17. Jahrhundert im Winter die Fußspuren im Schnee in Richtung Weddinghauser Kloster gezeigt hätten und diese Richtung sollten die Oeventroper auch beibehalten.
Als der SPD Gemeindevertreter Willi Maus und der damalige SPD-Ortsvereinsvorsitzende Harald Gampe ans Mikrofon gingen, war die Stimmung in der Schützenhalle so aufgeheizt, daß ihre Gründe für einen Zusammenschluß der beiden Gemeinden kaum noch Gehör fanden.
Neue Grenzen für den SPD Ortsverein Freienohl
Wenn erkannt wird, daß politische Strukturen nicht mehr zeitgemäß sind, ist es notwendig, Veränderungen vorzuschlagen, zu diskutieren und umzusetzen. Auf Initiative des SPD Ortsvereins Freienohl wurden daher zwischen den Ortsvereinen Calle und Freienohl zum 01.07.1994 die örtlichen Zuständigkeiten neu geregelt. Die Mitgliederversammlungen beider Ortsvereine beschlossen die Zuständigkeiten derart neu zu gestalten, daß der Ortsverein Freienohl auch die Ortsteile Olpe, Berge und Visbeck umfaßt. Der Ortsverein Calle entsprach bis zur Neuregelung den Grenzen der ehemaligen politischen Gemeinde Calle, die heute nicht mehr die tatsächlichen Beziehungen zueinander darstellen.
Nachdem bereits der Ortsteil Grevenstein durch den Ortsverein Freienohl abgedeckt worden war, wurde mit den hinzugekommenen Orten Olpe, Berge und Visbeck der Lückenschluß vollzogen. Der neue Ortsverein Freienohl deckt damit das gesamte westliche Stadtgebiet ab. Die lokalen politischen Zielsetzungen werden jedoch weiterhin in den Orten diskutiert und vollzogen.
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